Biografie

Im Rahmen der Ausstellung La révolution de 1974. Des rues de Lisbonne au Luxembourg zeigt das Museum eine Auswahl von Bildern von Alfredo Cunha, die kürzlich im Museu do Neo-Realismo (Vila Franca de Xira, Portugal) zu sehen waren. Dessen wissenschaftlicher Direktor David Santos kuratierte diese Ausstellung anlässlich des 50-jährigen Berufsjubiläums von Alfredo Cunha, dem bekanntesten Fotojournalisten der Nelkenrevolution.

Alfredo Cunha (*1953) dokumentierte nicht nur den Militärputsch vom 25. April 1974 aus nächster Nähe, sondern fotografierte auch den portugiesischen Entkolonialisierungsprozess in Angola, Mosambik, Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe, Osttimor und Kap Verde. In Portugal war er weiterhin während des fortschreitenden revolutionären Prozesses (PREC – Processo Revolucionário em Curso, 1974-1975) als Fotojournalist für die Presse tätig und hielt die Anfänge der Demokratie fest, bevor er offizieller Fotograf von zwei Präsidenten der Portugiesischen Republik wurde: Ramalho Eanes und Mário Soares.

Nach einer langen Karriere als Fotograf und künstlerischer Leiter in der Bildredaktion verschiedener Zeitungen arbeitet er heute freiberuflich. Nachdem 1972 sein erstes Buch, Raízes da Nossa Força, erschienen war, widmete er sich weiteren verschiedenen Verlagsprojekten. Die Ausstellung ist thematisch gegliedert (25. April und Entkolonialisierung, Welt, Portugal, Konflikt, Religion und Porträts) und wird von einem Katalog begleitet, der von der Imprensa Nacional anlässlich des 50-jährigen Berufsjubiläums von Alfredo Cunhas Karriere herausgegeben wurde. Alle in dieser Ausstellung gezeigten Fotografien (analog bis 2002, danach digital) stammen aus der Sammlung des Museu do Neo-Realismo.

Einführung

Wie bei einer russischen Puppe lassen sich die Ursprünge von Alfredo Cunhas fotografischer Laufbahn und die einzelnen Etappen der kontinuierlichen fotografischen Praxis in der Familie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Damals ging sein Großvater das Risiko ein, die Fotografie zum Broterwerb zu machen. Dass sich die Geschichte wiederholt, zeigt sich in der Entscheidung seines Vaters, die Arbeit des Großvaters fortzusetzen und dessen Fotostudio zu übernehmen. Auch in Alfredo Cunhas eigener Entscheidung, als Fotojournalist seinen Lebensunterhalt zu verdienen, spiegelt sich die Fortsetzung der Familientradition wider. Eine besondere Sensibilität und eine gewisse Kultur der Bildproduktion wurden von Vater zu Sohn weitergegeben, was die Bedeutung eines gemeinsamen Familienerbes unterstreicht. Vom Beruf des Fotografen bis zum Fotojournalisten, vom Großvater bis zum Enkel, schließt sich der Kreis der fotografischen Produktion, der sich über ein Jahrhundert erstreckt. Ein Kreis, der eine Brücke schlägt zwischen der Realität und ihrer bildlichen Darstellung, zwischen sorgfältig inszenierten Szenen und spontanen Augenblicken, die sich aufdrängen, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Wie bei einer russischen Puppe setzt sich das Lebenswerk eines Fotografen aus ineinandergreifenden Vermächtnissen, Bezügen und Erfahrungen zusammen, aber auch aus diffusen Erinnerungen, Träumen, Plänen, Visionen und unerwarteten Wendungen und nicht zuletzt aus instinktiven Überlegungen und Entscheidungen darüber, was er dem Betrachter zeigen möchte. Ob ausgehend vom größten bis zum kleinsten oder vom kleinsten bis zum größten, ob reales oder inszeniertes Bild, am Ende übertrifft das so geschaffene Bild das wirkliche Leben. Denn es wird fortbestehen, um andere Betrachter anzusprechen und zu fesseln und letztendlich Teil der Zukunft zu werden, die den Moment inspiriert hat. Genau den Moment, der zwischen dem Erblicken, dem Erkennen und dem Klick der Kamera lag.

Wie bei einer russischen Puppe folgen individuelle Leben und ihre Bilder aufeinander, von Generation zu Generation, jedes einzigartig und doch ähnlich. So wie ein Foto zum nächsten führt und eine endlose Schleife von Gemeinsamkeiten und Distanzen entstehen lässt. So wie sich die Realität im Spiel der Spiegel im Kreis dreht und vor unseren Augen niemals zum Stillstand kommen wird. Wenn wir ein Foto betrachten, bewegen wir uns von unseren Erinnerungen hin zu seinem Einfluss auf unser Leben, den wir uns bewusst machen. Zwischen Fotografien und anderen Bildern erleben wir unsere Vergangenheit erneut, die die Meilensteine unseres Lebens definiert hat, und wir erkennen unser wahres Selbst zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Bei Alfredo Cunha besteht das Leben aus Bildern, die er gemacht hat, die er noch machen wird und die er hinter sich gelassen hat. Einige Bilder gehen über die Absicht des Fotografen hinaus und nehmen eine kollektive Bedeutung und Identität an.

Kurator

David Santos

Kapitel

Die Fotografie ist ein ganz besonderes Medium, das die Wahrnehmung der Dimensionen unseres Lebens und das Bewusstsein unserer eigenen Sterblichkeit für immer verändert hat. Denn der auf einem Foto dargestellte Mensch ist nicht nur eine hypothetische Annäherung an die Realität, sondern ein symbolisches Abbild eines flüchtigen Augenblicks.

— David Santos

Die meisten dieser Fotos zeigen die Militäreinheiten, die im April 1974 die Straßen und Plätze im Zentrum von Lissabon besetzten, vom Rathausplatz bis zum Terreiro do Paço, wo es dennoch kurzfristig zu einer gewaltsamen militärischen Auseinandersetzung kam. Es gab kein ruhmsüchtiges Militär, keine brutalen Revolutionäre und keine wütende Polizei. Die Szenen erinnern eher an eine Versammlung als an eine Konfrontation. Obwohl die potenzielle Gewalt nur wenige Sekunden, Meter und Gesten entfernt war, wirkt die Ruhe und Gelassenheit, mit der jemand mitten in diesem Geschehen seiner Arbeit nachgeht, seine Mission erfüllt, verblüffend.

— António Barreto

Während Totenmasken die ersten Abbilder waren, die im Zusammenhang mit dem „Index“ betrachtet wurden, schuf die Fotografie die überzeugendsten Erinnerungen an die menschliche Existenz. Sie ermöglichte sowohl eine exakte Identifizierung in der Raum-Zeit-Dimension, als auch eine Loslösung von identitätsbezogenen Bewertungen, wodurch sich ein Gefühl der Zugehörigkeit und universellen Verbundenheit manifestierte, was wiederum ein tieferes Verständnis des menschlichen Wesens förderte.

— David Santos

Augen, Körper oder Gesten, selbst wenn sie spontan und instinktiv sind, bewirken eine bedeutende semantische Verschiebung in der Fotografie und stärken die evokative Kraft der Kunst. Auch wenn ein Foto als Schnitt oder Zäsur im Raum-Zeit-Gefüge immer eine narrative Diskontinuität erzeugt, so erweitert es aber durch seine Statik auch Deutungsmöglichkeiten und eröffnet durch die Variabilität jeder Betrachtung neue Dimensionen auf narrativer Ebene.

— David Santos

In seinen Arbeiten zeigt sich die Essenz seiner Persönlichkeit: Er ist das, was man in der Geschichte der Fotografie einen humanistischen Fotografen nennt. Seine Fotografien stellen das Menschliche dar, konzentrieren sich auf die Conditio humana, die auf Schmerz, Leid, Freude und Frieden gründet. Seine Fotos fangen Überzeugungen und Emotionen ein und stellen den Sinn für Menschlichkeit in den Vordergrund – im Alltag, in der Familie, bei der Arbeit und bei persönlichen oder kollektiven Ereignissen. Gebäude, Werke und Landschaften sind in seinen Fotografien weniger präsent als Menschen.

— António Barreto

Die Kunst der Fotografie erfordert mehr als technisches Können; sie verlangt Wissen, einen Sinn für Ästhetik, für Menschlichkeit, eine Vision für die Welt, die Fähigkeit, von einzelnen Fakten zu abstrahieren und den Wunsch, das Vergängliche zu überwinden.

— António Barreto