Collections/Revelations. Modern and contemporary art
Die moderne Kunst lässt sich nicht in ein einziges, allumfassendes Narrativ pressen. Sie entfaltet sich vielmehr aus zahlreichen, miteinander verknüpften Geschichten. Kunstwerke existieren einerseits in der Zeit, in der sie geschaffen wurden, und andererseits auch in dem sich ständig verändernden Kontext der Gegenwart. Auch Gegenwartskunst lässt sich nicht ohne Weiteres kategorisieren oder etikettieren. Den Zugang zu ihr findet man vielmehr über ihre Inhalte und die Fragen, die sie aufwirft. Indem Künstlerinnen und Künstler Konventionen und Normen in Frage stellen, ergründen sie neue Wege, um sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Diese Ausstellung verfolgt einen thematischen Ansatz, mit dem sie neue Perspektiven auf unsere Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst eröffnet. Moderne Kunstwerke treten in einen Dialog mit zeitgenössischen Kreationen und offenbaren so neue Parallelen zwischen Werken aus verschiedenen Epochen und Gattungen. Schon immer haben Künstlerinnen und Künstler ihre Inspiration jenseits nationaler Grenzen gesucht. Heute, in unserer globalisierten, sich rasant verändernden Welt, ist dieses Phänomen ausgeprägter denn je.
Unsere umfangreiche Sammlung setzt sich aus verschiedenen Medien zusammen, wobei ihr Schwerpunkt seit jeher auf der Malerei liegt. Den Ursprung der Sammlung bildet der Bestand der Musées de l'Etat, der zunächst stark von der École de Paris der Nachkriegszeit geprägt war und sich dann auf die Narrative Figuration konzentrierte. In den letzten zwei Jahrzehnten hat das Museum seinen Fokus weiter aufgefächert und sich unter anderem Porträts und der Avantgardebewegung Supports/Surfaces gewidmet. Neben Klassikern wie van Rysselberghe, Picasso und de Chirico zeigt die Ausstellung eine Fülle von Neuerwerbungen. Sie bereichern die vielfältigen Geschichten, die wir mit unserer Sammlung moderner und zeitgenössischer Kunst erzählen wollen, und spiegeln zugleich die multikulturelle und facettenreiche Gesellschaft wider, in der wir heute leben.
Chaos
Der Begriff Chaos in der Kunst beinhaltet ein Reflektieren über das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Unordnung, die Bedeutung des Zufalls und den Zwiespalt zwischen Kontrolle und Spontaneität. Gelegentlich steht das Chaos als Symbol für ein Aufbegehren gegen traditionelle Normen oder die Ablehnung einer konventionellen Ästhetik, wenn Künstlerinnen und Künstler versuchen, von etablierten künstlerischen und gesellschaftlichen Konventionen abzuweichen. Das Chaos tritt unerwartet auf, ist gelegentlich unbekannt, manchmal unbeabsichtigt und bisweilen absichtlich herbeigeführt. In einer Zeit zunehmender Unwägbarkeiten und Herausforderungen, die durch Konflikte und Kriege noch verschärft werden, bleibt das Chaos ein zentrales und anhaltendes Thema für Künstlerinnen und Künstler.
Einige Werke in diesem Bereich der Ausstellung gehören zur Bewegung Nouvelle École de Paris oder Zweite Schule von Paris, die in der von den Folgen des Zweiten Weltkriegs geprägten Zeit entstand. Die Künstlerinnen und Künstler suchten nach einem Weg aus dem Chaos ihrer Zeit und stellten sich der Herausforderung, inmitten von Leid und Gewalt kreativ zu sein. Die Bewegung vereinte Maler, die zu dieser Zeit in der französischen Hauptstadt tätig waren und sich nicht gegenstandsbezogenen Malweisen widmeten, um nach dem Trauma des Krieges eine neue Grundlage für die Kunst zu schaffen.
Faces
Eine der ältesten Gattungen der Kunstgeschichte, das Porträt, wird anhand der in diesen Räumen ausgestellten modernen und zeitgenössischen Kunstwerke neu beleuchtet. Seit jeher dienten Porträts dazu, der menschlichen Individualität Ausdruck zu verleihen, indem sie sowohl die physischen Merkmale einer Person als auch weniger greifbare Facetten wie ihr Innenleben und ihre Psyche erfassten.
Bei der Darstellung des menschlichen Gesichts spielt der Moment des gleichzeitigen Sehens und Gesehenwerdens eine zentrale Rolle. In der heutigen pluralistischen und sich ständig verändernden Gesellschaft stehen Künstlerinnen und Künstler vor der Herausforderung, die Komplexität von Individualität und Identität zu erfassen. Um ein Porträt zu analysieren, müssen mehrere Perspektiven berücksichtigt werden: die Wahrnehmung des Porträtierten, der soziale Kontext, die Interpretation des Künstlers und unser eigener Blick als Betrachter. Auf welche Weise regen uns die Künstlerinnen und Künstler in diesen Räumen dazu an, über diese Perspektiven nachzudenken? Erzählen die Porträts eine Geschichte oder vermitteln sie durch den Gesichtsausdruck der Porträtierten ein bestimmtes Gefühl?
Nature
Das Thema Natur und die Beziehung zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umwelt inspirieren Künstlerinnen und Künstler bis heute. Seit Jahrhunderten fasziniert uns die Schönheit und Weite der Landschaften, die uns umgeben. Sie können in uns Erinnerungen und Assoziationen wecken sowie Emotionen und Gefühle hervorrufen, die auf unseren individuellen Erfahrungen im Zusammenhang mit einer ähnlichen Umgebung beruhen.
In der zeitgenössischen Kunst ist eine deutliche Abkehr von den traditionellen Normen zu beobachten. Künstlerinnen und Künstler betrachten die Landschaft aus einer gegenwärtigen Perspektive und lassen neue Ideen in ihre Werke einfließen. Der Wandel der Landschaft geht mit einer differenzierten Wahrnehmung durch die Künstlerinnen und Künstler einher, die wiederum die sich verändernden gesellschaftlichen Anschauungen widerspiegelt und die konventionellen Vorstellungen von dem, was in der Kunst als pittoresk gilt, in Frage stellt. Der romantisierte Blick auf die Natur weicht einer dramatischeren, manchmal sogar dystopischen Darstellung. Dieser Paradigmenwechsel verdeutlicht die Zerbrechlichkeit und Begrenztheit dessen, was grenzenlos erscheint, und führt dazu, dass sich Künstlerinnen und Künstler mit Themen wie Urbanisierung, Klimawandel und menschlichen Eingriffen in die Natur auseinandersetzen.
Forms & Shapes
Moderne und zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler verwenden Formen auf unterschiedliche Weise und verleihen damit Kunstströmungen und individuellen Stilen, aber auch dem breiteren kulturellen, sozialen und politischen Kontext ihrer Zeit Ausdruck. Mit dem Aufblühen der Abstraktion haben Formen in der Kunst zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie können dazu verwendet werden, um Emotionen auszudrücken und bestimmte Ideen zu vermitteln oder einfach nur um ein Gebilde, eine von anderen Formen oder Linien umschlossene Fläche, visuell darzustellen. Letzterer Aspekt spielt beispielsweise in der französischen Avantgardebewegung Supports/Surfaces eine wichtige Rolle.
Bei der Betrachtung von Formen ist es auch wichtig, den sie umgebenden Raum zu berücksichtigen. In einem Gemälde können monochrome Formen frei in einem scheinbar flachen Raum schweben, wie in dem Werk von Patrick Caulfield. Bei den dreidimensionalen Werken hingegen geht es oft um die Beziehung der Formen zu dem Raum, in dem sie sich befinden, wie bei der Stahlskulptur von Richard Serra oder der Trompe-l'oeil-Tür von Feipel und Bechameil. Schauen Sie sich um und achten Sie darauf, wie die Formen in diesen Räumen interagieren. Gibt es Verbindungen oder Beziehungen, die Ihnen besonders auffallen?
Colour
Jeder Mensch nimmt Farben ein wenig anders wahr und verbindet sie mit seinen persönlichen Erfahrungen, den Gefühlen, die er in einem bestimmten Moment empfunden hat, oder der Stimmung, in der er sich gerade befindet. Für viele moderne und zeitgenössische Künstler werden Farbtöne und ihr Zusammenspiel zu einem eigenständigen Thema in ihrer Praxis. Farbe dient als Ausdrucksmittel und prägt die Wahrnehmung eines Werks durch den Betrachter oder die Betrachterin.
Der französische Künstler Yves Klein sagte einmal: "Blau hat keine Dimension, es ist jenseits der Dimension", und drückte damit seine leidenschaftliche Begeisterung für die Farbe Blau aus. Die in diesem Raum gezeigten Werke gehen über die Wahrnehmung von Blau als bloße Farbe hinaus. Die Künstlerinnen und Künstler betrachten Blau vielmehr als ein grundlegendes Element zur Komposition, Bedeutung oder Interpretation des Kunstwerks. Von sanftem Azur bis zu tiefem Indigo experimentieren die Künstlerinnen und Künstler mit der Farbe Blau auf unterschiedliche Weise. Was assoziieren Sie mit Blau? Fällt Ihnen auf, dass Blau anderen Farben gegenübergestellt wurde? Und wenn ja, wie wirkt sich diese Kombination auf Ihre Gesamtwahrnehmung des Kunstwerks aus?