Am 13. März wird der frühere Direktor des Nationalmuseums Dr. h. c. Gérard Thill 100. Jahre alt. Grund genug, im MuseoMag auf seine Leistungen zurückzublicken.
In Brühl bei Köln geboren, wächst Gérard Thill in Remerschen an der Mosel auf. Nach dem Abitur am stadtluxemburgischen Atheneum studiert er Geschichte, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie sowie Romanistik, zunächst an den Cours universitaires in Luxemburg, dann an den Universitäten Löwen und Paris. Nach erfolgreicher Collation des grades unterrichtet er zunächst Geschichte am Lycée de Garçons in Esch-sur-Alzette und am Institut pédagogique in Luxemburg, bevor er 1965 als Konservator für die Abteilungen Geschichte und Kunst an die Musées de l’État wechselt. Im selben Jahr wird er Membre effectif der Section historique de l‘Institut grand-ducal, was ihn heute zu deren – bei weitem – dienstältesten Mitglied macht. Im Jahr 1969 wird er als Nachfolger von Joseph Meyers zum Conservateur-Directeur und somit zum Leiter der Musées de l’État ernannt. Nach der Reorganisation der staatlichen Museen wird Gérard Thill dann 1988 erster Direktor des neuen Musée national d’histoire et d’art, dem er bis zu seiner Pensionierung im März 1990 vorsteht.
Meilensteine in der Museumsentwicklung
In seiner Zeit als Kurator und Museumsdirektor wird Gérard Thill zahlreiche wichtige Entwicklungen anstoßen, die das Museum weit über seine Dienstzeit hinaus und zum Teil bis heute prägen. Nur die wichtigsten können hier Erwähnung finden.
So wird er ab 1965 konsequent und trotz sehr bescheidener finanzieller Mittel den Ausbau der bis dahin recht unbedeutenden Kunstsammlungen vorantreiben, im Bereich der modernen und zeitgenössischen Kunst, aber auch der alten Malerei. Auch im Bereich der religiösen Kunst Luxemburgs erwirbt sich Thill große Verdienste. In einer Zeit, in der Einbrüche in Kirchen an der Tagesordnung sind, schließt er mit zahlreichen Kirchenfabriken Dauerleihverträge für Spitzenwerke der besonders gefährdeten religiösen Plastik ab. Die Originale kommen ins Museum und werden dort ausgestellt, vor Ort werden sie durch in den Werkstätten des Museums angefertigte Kopien ersetzt.
Derselben Logik einer Inwertsetzung des nationalen materiellen Kulturerbes folgend, fördert Gérard Thill auch den Ausbau der volkskundlichen Sammlungen und erreicht die Einrichtung einer eigenen Abteilung, die heute den Namen Arts décoratifs et populaires trägt. Er scheut auch nicht vor unerwarteten Allianzen zurück, wenn es darum geht, das nationale Kulturerbe zu schützen. So ziehen er und der damalige sozialistische Kulturminister Robert Krieps an einem Strang, als es darum geht, mehrere vom Abriss bedrohte historische Häuser in der Rue Wiltheim anzukaufen und ins Museum zu integrieren. Es gelingt, die historische Altstadt vor einem Schicksal wie dem des Boulevard Royal zu bewahren. Heute sind die damals geretteten Häuser – der aktuelle Wiltheimflügel des Nationalmusée um Fëschmaart – die am besten erhaltenen Beispiele spätmittelalterlicher und frühmoderner Architektur der Hauptstadt.

Gérard Thill mit der Großherzogin Joséphine-Charlotte in der Ausstellung „Roger Chastel - Peintures, Dessins, Gravures“ im Jahr 1970 © Albert Biwer
Wichtige Beiträge zur Archäologie
In Thills Zeit als Direktor macht das Museum große Fortschritte, aber nicht nur im Auf- und Ausbau der verschiedenen Museumssammlungen, sondern auch in deren Inventarisierung, Untersuchung und Vorlage. Zeugnis hiervon legen zahlreiche Bestandskataloge ab, die in Thills Direktorenzeit erscheinen, etwa zu den römischen Reliefsteinen (1974), zu den römischen Bronzen (1975) und Gläsern (1979) sowie zur alten Malerei (1976) und zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Skulptur (1977). Diese im Wortsinn grundlegenden Publikationen vermitteln der internationalen Fachöffentlichkeit nicht nur zum ersten Mal die wachsenden Museumsbestände, sie bilden in vielerlei Hinsicht bis heute den Ausgangspunkt der konkreten Arbeit an den Objekten unserer Sammlungen.
Auch Thill selbst ist neben seiner Arbeit als Direktor ein fleißiger Forscher. Von den üblichen Jahresberichten, Zeitungsartikeln und Vorworten einmal abgesehen, umfasst seine persönliche Bibliographie nicht weniger als 79 Titel, darunter seine 1973 vorgelegte Vor- und Frühgeschichte Luxemburgs. Überhaupt ist die Archäologie Gérard Thills eigentliche Passion, und auf diesem Gebiet liegen zweifelsfrei seine größten Meriten als Museumsmann wie auch als Forscher. Seine archäologischen Publikationen, etwa zu den vier spätlatènezeitlichen Brandgräbern von Goeblingen-Nospelt (1966 - 1967), zum frühlatènezeitlichen Fürstengrabhügel bei Altrier (1974) und zu den frühkaiserzeitlichen Grabbeigaben von Hellingen (1975) erregen schnell die Aufmerksamkeit der Fachwelt und setzen Luxemburg erstmals auf die Landkarte der zeitgenössischen archäologischen Forschung.
Ein Mann mit Zukunftsvision
Thill versteht wohl als erster in Luxemburg, dass Archäologie im fortschreitenden 20. Jh. nicht mehr ausschließlich durch – seien es noch so begeisterte – Amateure betrieben werden kann. Auf seine Initiative hin entsteht in Luxemburg ab 1972 eine professionelle archäologische Bodendenkmalpflege. Sie bleibt bis 2022 institutionell an das Nationalmuseum angebunden, so dass Ergebnisse und Funde in die archäologische Dauerausstellung einfließen können. Neben jährlich wechselnden Notgrabungen entstehen noch in Thills Zeit als Direktor in der keltisch-römischen Siedlung auf dem Titelberg sowie im römischen Vicus von Dalheim zwei permanente Grabungszentren. Für seine herausragenden Verdienste um die grenzüberschreitende Archäologie der Großregion ernennt die Universität des Saarlandes Thill dann auch im Dezember 1979 zum Ehrendoktor.
Natürlich hat sich in den dreieinhalb Jahrzehnten seit Gérard Thills Eintritt in den Ruhestand das Nationalmuseum in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt. Der Neubau am Fischmarkt, die Eingliederung des Festungsmuseums auf dem Kirchberg und der Römervilla in Echternach, der Aufbau eines zentralen Sammlungsdepots oder die fortschreitende Digitalisierung und Online-Stellung der Sammlungen seien hier nur stellvertretend als Beispiele genannt. Möglich wurde dieses und vieles andere mehr aber auf den Fundamenten, die in Thills Zeit gelegt wurden. Seinen mittlerweile drei Nachfolger/-innen hinterlässt er 1990 ein Museum auf der Höhe seiner Zeit, das in seiner Sammlungsarbeit und in seinen Aktivitäten für das Publikum den Vergleich mit Museen im Ausland nicht mehr zu scheuen braucht. Abschließend bleibt uns nur noch, Gérard Thill viele weitere Jahre zu wünschen sowie ein nicht nachlassendes Interesse an der Archäologie und Geschichte seines Heimatlandes, um die er sich sehr verdient gemacht hat. Ad multos annos!
Text: Michel Polfer / Bild: Albert Biwer
Quelle: MuseoMag N° II - 2025