Sie ist formal in einem klassizistisch anmutenden Stil gehalten und präsentiert sich mit einem genauso schlichten wie edlen Aussehen. Aufwendigster Schmuck der Silberschale, die das Luxemburger Nationalmuseum für Archäologie, Geschichte und Kunst kürzlich erwerben konnte, ist der Knauf ihres Deckels. Er wurde als fein gearbeitete und vergoldete Birne mit zwei Blättern ausgestaltet – ein für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts typisches Ziermotiv. Sie ist zu klein, um als Gemüseschüssel oder Suppenterrine gedient zu haben, zu groß für eine Bonbonniere. Es fällt zudem auf, dass der Deckel nicht nur locker auf der Schale aufliegt, sondern als Steckdeckel exakt eingepasst wurde. Wozu könnte dieses Gefäß, das ohne Standfüße auskommt, aber über zwei seitlich angebrachte, stilistisch auf den Barock zurückweisende Griffe verfügt, ursprünglich gedient haben?

Die neuerworbene Silberschale erhielt die Inventarnummer 2024-038/001 und wird aktuell noch im Depot verwahrt. Sicherlich findet sie bald einen gebührenden Platz im Museum.

EINE WOCHENSCHÜSSEL

Womöglich handelt es sich um eine jener Wochenschüsseln bzw. Wöchnerinnenschalen, welche ursprünglich dazu gedacht waren, eine zubereitete, eventuell gar warme Mahlzeit einer jungen Mutter zu bringen, die nach der Geburt ihres Kindes das Wochenbett hüten und erst wieder zu Kräften kommen musste. Die Deckel dieser Schalen to go dienten dem Warmhalten der Speisen, die andernorts gekocht worden waren, und umgedreht zugleich als Teller. Die Oberseite des Deckels der neu erworbenen Schale ist so flach, dass sie tatsächlich als Standfläche des Tellers tauglich gewesen wäre. Dies verhindert jedoch der Knauf, der auch nicht als Standbein ausgeführt wurde, was ebenfalls eine nicht untypische Lösung gewesen wäre. Wurde die Birne eventuell nachträglich als Zierde angebracht? Dies ist nicht ausgeschlossen, jedoch eher unwahrscheinlich. Dennoch erlauben die allgemeine Ausgestaltung, insbesondere die für eine Portion bestimmte Größe mit einem Durchmesser von etwa sechzehn Zentimetern, der für einen Transport geeignete Deckel und die dafür ebenfalls praktischen Henkel, sich die Frage nach einer ursprünglichen Nutzung des Gefäßes als Wochenschüssel zu stellen. Denn sie erfreuten sich – und das ist ein weiteres Argument für diese These – im 17. und vor allem 18. Jahrhundert, also der Entstehungszeit des rezenten Ankaufs, großer Beliebtheit.

AUCH GODENSCHÜSSEL GENANNT

Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass eine so wertvolle Silberschale lediglich dem Transport einer Mahlzeit über einen sehr begrenzten Zeitraum diente. Auch damals, als Plastik natürlich noch nicht erfunden war, hätte man praktischere und billigere Materialien zur Verfügung gehabt. Was also hat es mit der Schale auf sich? Zur Beantwortung dieser Frage hilft die für jene Art von Gefäß im deutschen Sprachraum ebenfalls übliche Bezeichnung als Godenschüssel weiter. Nicht selten übernahm nämlich die zukünftige Taufpatin des/der Neugeborenen – in vielen deutschen Dialekten wird die Patentante God oder Godel genannt, was etymologisch mit den luxemburgischen Bezeichnungen Giedel oder Gued verwandt ist – die Aufgabe, die Wöchnerin mit kräftigenden Speisen zu versorgen. So entwickelten sich aus anfangs vermutlich schlichten Transportbehältern im Laufe der Jahrzehnte schön gestaltete und auch aufgrund des Materials wertvolle Zierschalen, die dann zugleich als bleibendes Taufgeschenk dienten. Die praktische Bedeutung als Schale to go trat in den Hintergrund zugunsten des symbolischen und materiellen Wertes. Man kennt aus dieser Zeit äußerst aufwendig gefertigte Godenschalen mit ausgefallenen Verzierungen und dem Anlass entsprechenden Inschriften, die fast zu schön für den Gebrauch sind. Auch bei der Neuerwerbung kann es sich allein aufgrund des Materialwerts – die massiv silberne Schale wiegt 549 Gramm – um ein solches Taufgeschenk gehandelt haben. Die Innenseite ist zudem vergoldet, was die Doppelschale zusätzlich aufwertet.

Kostbar und einst auch von praktischem Nutzen: Dies steht keineswegs im Widerspruch zueinander.

EIN KUNSTWERK VON POELCKING

Die Godenschüssel – bis zum Beweis des Gegenteils sei diese Bezeichnung erlaubt – zeigt auf der Unterseite das gut lesbare Meisterzeichen „IHP“ von Johann Heinrich Poelcking. Der ursprünglich aus Westfalen stammende Goldschmied wurde 1771 Bürger der Stadt Luxemburg. Dort heiratete er Maria Josepha Scheffer, die Witwe des Goldschmieds Johann Christoph Chevalier (ca. 1737-1767) und Tochter des bekannteren Goldschmieds Johann Scheffer (1700/07-1766). Poelcking erwarb im selben Jahr das Krämeramt, da diese Zunftzugehörigkeit notwendig war, um als Goldschmied in der Hauptstadt tätig zu sein. Nach der Geburt zweier gemeinsamer Kinder starb seine Gattin im Jahr 1774. Poelcking heiratete Catharina Dutreux in zweiter Ehe, aus der zwei Söhne und eine Tochter hervorgingen.

Aufgrund der umfangreichen Recherchen von Eva Toepfer zur historischen Luxemburger Goldschmiedekunst ist zudem bekannt, dass Poelcking sich als Geschworener der Goldschmiedezunft engagierte. So unterzeichnete er 1780 gemeinsam mit Johann Christoph Walch, der bereits seit 1759 Bürger der Stadt Luxemburg war und 1791 verstarb, eine Eingabe an den Magistrat der Stadt Luxemburg, die Ordnung der Goldschmiede betreffend. Seit 1796 war Poelcking nachweislich als „appréciateur des matières d’or et d’argent nommé par l’Administration“ tätig, also als Schätzer der französischen Verwaltung des Wälderdepartements. In dieser Funktion stempelte er Silber- und Goldarbeiten nach der sogenannten neuen Ordnung. Er verstarb im Jahr 1799. Obwohl das Museum seit dem Ausstellungsprojekt „Trésors insoupçonnés. Orfèvrerie ancienne au Luxembourg“ im Jahr 2004 seinen Bestand an profanen Goldschmiedewerken aus Luxemburg um bedeutende Stücke erweitern konnte, fehlte in der Sammlung bislang eine Silberarbeit von Johann Heinrich Poelcking. Die Godenschüssel schließt nun diese Lücke.

GESICHERTE LUXEMBURGER PROVENIENZ

Stilistisch ist die Wochenschale wohl in die Zeit um 1775 bis 1780 zu verorten. Im Vergleich zu den bekannten frühen sakralen Arbeiten Poelckings, die in Luxemburger Kirchen nach wie vor dem liturgischen Gebrauch dienen, ist die Schale sehr schlicht und hat nicht deren üppige, noch barocke Verzierung aufzuweisen. Insofern handelt es sich um eine in Richtung Klassizismus weisende Arbeit für einen profanen Auftraggeber mit etwas modernerem Geschmack. Leider ist nicht bekannt, wer ursprünglich mit diesem besonderen Taufgeschenk bedacht wurde und auf welchem Weg es schließlich in den deutschen Kunsthandel gelangte. Aus Nachlassund Hausinventaren aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die ebenfalls 2004 von E. Toepfer publiziert wurden, ist jedoch bekannt, dass begüterte Luxemburger Familien profanes Silber in bedeutendem Umfang besaßen. Die oft reichen Bestände enthielten sowohl repräsentatives als auch Gebrauchssilber. Das Spektrum reicht von einfachen Besteckteilen über Schnallen, Knöpfe und Schmuckstücke bis hin zu reich, teilweise mit Wappen verzierten Prunkstücken wie Löffel, Schalen oder Kannen. Es ist also durchaus möglich, dass das von Poelcking gefertigte Zierstück ursprünglich einem Luxemburger Täufling aus gutem Hause zugedacht war.

Die Fertigung in Luxemburg ist hingegen durch die Stempel eindeutig belegt. Denn neben dem erstmals vollständig lesbaren Meisterzeichen „IHP“, wobei die beiden letzten Buchstaben miteinander verbunden und als Ligatur gestaltet sind, weist die Schale noch einen zweiten Stempel auf. Es handelt sich um einen bekrönten Lilienstempel, der damals in Luxemburg verwendet wurde, um das sogenannte Brüsseler Silber mit einem Feingehalt von etwa 925/1000 zu kennzeichnen. Dieses wurde hauptsächlich für profane Stücke verwendet, während liturgische Geräte meist aus weniger teurem 13-lötigen Silber gefertigt wurden. Die Lilienstempel waren nicht genormt. Daher ist es für die Forschung zur Luxemburger Goldschmiedekunst besonders interessant, dass nun erstmals Johann Heinrich Poelckings Version belegt und in einer öffentlichen Sammlung vertreten ist.

PRESTIGE TO GO

Seit jeher gab es Gelegenheiten, bei denen Speisen und auch warme Mahlzeiten portionsweise in Behältern to go transportiert werden mussten. Während jedoch beispielsweise die Versorgung der Feldarbeiter/- innen aus naheliegenden Gründen nicht zu einer Entwicklung von Prunkgerät führte, war die Geburt eines Kindes sehr wohl ein solch wichtiger Anlass, der aus einem praktischen Gebrauchsgegenstand ein schönes Geschenk von bleibendem Wert werden ließ. Die vom Nationalmuseum neu erworbene, prestigeträchtige Godenschüssel eines Luxemburger Silberschmieds dokumentiert diese heute nahezu in Vergessenheit geratene Tradition des 18. Jahrhunderts.

Text: Ulrike Degen - Fotos: Éric Chenal / Tom Lucas

Quelle: MuseoMag N° I 2025